Als vor etwa 12 Monaten verantwortliche Herren der Arbeitsgemeinschaft Altertumswissenschaften die Bitte an den Autor dieses Beitrages herantrugen, eine Würdigung für Albrecht Dihle anlässlich seines 90. Geburtstages zu verfassen, so bedeutete dies eine große Ehre. Mit der Zeit wuchsen jedoch die Zweifel, ob es überhaupt möglich sei, einen der angesehensten europäischen Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts in einem solchen Beitrag angemessen zu ehren.

Gleich drei akademische Lehrer des Verfassers, ein Gräzist, ein Latinist und ein Historiker – alle drei nicht ganz unbekannt in der deutschen Wissenschaft – ermutigten den Verfasser dann jedoch dazu, seine Arbeit zu vollenden. Der Autor des Beitrags dankt den erwähnten Herren für ihre Ermutigung und hofft sehr, dass diese Würdigung ein wenig dazu beitragen möge, Albrecht Dihle anlässlich seines 90. Geburtstages zu ehren und einen Blick auf sein Leben zu werfen.

Als der Verfasser dieser Würdigung vor mehr als drei Dezennien zum ersten Mal mit dem hier zu Ehrenden zusammentraf, so erlebte er gleich eine Überraschung. Es war in einer großen deutschen Universitätsstadt. Albrecht Dihle sollte an der dortigen Universität einen Vortrag über ein gräzistisches Thema halten. Nun sind solche Vorträge – von spektakulären Ausnahmen abgesehen – nicht gerade Publikumsrenner. Üblicherweise kommen einige Studenten und Kollegen, manchmal vielleicht auch noch wenige Interessierte von außerhalb. Eine Viertelstunde vor Beginn des Vortrages anwesend zu sein, sollte ausreichen.

Da einige Dinge zuvor rascher als erhofft erledigt waren, gelang es, bereits 45 Minuten vor Beginn in einem der größten Hörsäle der Universität anwesend zu sein. Die Überraschung folgte prompt: Der Saal war voll besetzt und es kamen immer mehr Zuhörer, die sich schließlich auf Treppenstufen und Fensterbänken niederließen. Hier wurde offensichtlich einer der ganz Großen seines Faches erwartet und tatsächlich schienen die Zuhörer voll gespannter Erwartung zu sein.

Es sei eingestanden – Albrecht Dihles Kollegen mögen es mir nachsehen – dass der Autor selten einen derartig dichten und gleichzeitig wohlstrukturierten wissenschaftlichen Vortrag gehört hat, der ihn faszinierte und gleichzeitig zu produktiver wissenschaftlicher Arbeit anregte. Die Veranstaltung dauerte eineinhalb Stunden und es dürfte seinerzeit wohl keiner der Anwesenden enttäuscht gegangen sein.

Dihle gehört zu einer die Wissenschaft prägenden Gruppe von Altphilologen des 20. Jahrhunderts, die man heute schmerzlich vermisst. Eine solche Persönlichkeit ist zweifelsohne nicht denkbar ohne eine Entwicklung, die bereits a prima pueritia ihren Anfang genommen hat.

Er legte seine Abiturprüfung am Max-Planck-Gymnasium zu Göttingen ab, einer wahrhaft renommierten Schule, die erst vor wenigen Jahren durch ein Projekt aus dem Bereich der Astronomie für internationale Schlagzeilen sorgte. Von 1940 bis 1942 musste er, wie viele andere, in einen unseligen und menschenverachtenden Krieg ziehen. Hier erlitt er eine schwere Verwundung, die ihn prägte.

Ab 1942 studierte er an der Universität Göttingen, wo er, wie er später seinen Studenten berichtete, sich besonders dem im dritten Reich verfolgten und von Konrat Ziegler versteckten Kurt Latte verbunden fühlte. Ein weiterer seiner Lehrer war Alfons Maria Schneider, ein Christlicher Archäologe und Byzantinist. Dihle würdigt ihn in der „Neuen Deutschen Biographie“ wie folgt: „Umfassende Gelehrsamkeit und ausgedehnte Sprachkenntnisse, einzigartige Vertrautheit mit den Monumenten und Territorien des Oriens Christianus sowie Scharfsinn, Ideenreichtum und eine enorme Arbeitsenergie befähigten Schneider zu herausragenden Leistungen als Archäologe und Byzantinist.“

Man könnte meinen, Dihle spräche von sich selbst. Genau diese Eigenschaften waren es, die seine Schüler und Kollegen an ihm bewunderten und immer noch bewundern. Stupendes Wissen, verbunden mit einer virtuosen Gelehrsamkeit, die aufhorchen ließ. Wohl nicht ohne Grund bezeichnen nicht wenige seiner Schüler Dihle als einen der letzten Universalgelehrten unserer Zeit.

Nie hielt er sich ausschließlich auf seinem Gebiet, der Philologie, auf. Immer wieder befasste sich Dihle mit der Kulturgeschichte der antiken Welt und den Beziehungen zwischen Antike und Orient. Aber auch antike Rhetorik und Philosophie, das griechische Drama und immer wieder Homer waren seine Forschungsschwerpunkte. Dass er hier eine eigene Meinung hatte und diese auch dezidiert gegenüber Kollegen, Schülern, Doktoranden und Habilitanden vertrat, ist bekannt. Seine 1970 erschienene Veröffentlichung über „Homer-Probleme“ ist nicht ohne Grund zum Standardwerk geworden und wird noch heute in vielen gräzistischen Seminaren den Teilnehmern als grundlegende Lektüre empfohlen.

Dihle sprach von seinen akademischen Lehrern immer wieder mit großer Wärme. Diese dürften sehr schnell seine Fähigkeiten erkannt haben. Bereits 1946 wurde er in Göttingen – mit gerade einmal 23 Jahren – promoviert. Thema seiner Dissertation war "λαός, ἔθνος, δῆμος. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Volksbegriffs im frühgriechischen Denken". Die Habilitation folgte vier Jahre später.

Bereits 1956 außerplanmäßiger Professor geworden, erhielt er 1958 eine Gräzistikprofessur in Köln. 1974 wurde er zum Ordinarius an der Universität Heidelberg ernannt, der er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1989 treu blieb – trotz der Versuche anderer Universitäten, ihn mit ehrenvollen Rufen an sich zu binden.

Dihles Heidelberger Zeit war eine Glanzzeit des Seminars für Klassische Philologie im Marstallhof. Zusammen mit seinen Kollegen gelang es ihm, den Ruf des Seminars zu mehren und es zu einer in Europa führenden Forschungs- und Lehrstätte für Klassische Philologie zu machen. Nicht ohne Grund kamen Gelehrte aus aller Welt in die Kurpfalz, dazu viele Studenten, die die Welt der antiken Literatur und Kultur kennenlernen wollten. Dihles nicht weniger bekannter Heidelberger Kollege Hans Armin Gärtner hat das Seminar im Marstallhof - die Bedeutung des lateinischen Wortes seminarium hervorhebend - einmal als „Pflanzschule des Nachwuchses“ bezeichnet. Die Ausbildung der Studierenden (auch der Lehramtsstudierenden!) war Dihle ein großes Anliegen – es scheint, ganz im Gegensatz zu heutigen Vertretern der Klassischen Philologie. Zusammen mit seinen Heidelberger Kollegen (namentlich der bereits erwähnte Hans Armin Gärtner, Herwig Görgemanns, Michael von Albrecht und Hubert Petersmann) arbeitete Albrecht Dihle an der Heranbildung des Nachwuchses, mit der Folge, dass das Heidelberger Seminar für Klassische Philologie den Ruf als eines der besten Universitätsinstitute für Klassische Philologie in Deutschland genoss. Aber auch viele nationale und internationale Wissenschaftler fühlten sich im Heidelberger Seminar wohl. Dies geschah zu einer Zeit, die ich hier – ganz nach Ovid – als „aurea aetas“ der Heidelberger Klassischen Philologie bezeichnen möchte.

Wenn man sich mit Albrecht Dihles Heidelberger Zeit befasst, so kommt man nicht umhin, das „Kirchenväterkolloquium“ zu erwähnen, oder, wie es eigentlich korrekt heißt, das „Kolloquium zu christlichen Texten der Antike“. Dieses Kolloquium lag Dihle besonders am Herzen und es dürften nur wenige Sitzungen während seiner Heidelberger Zeit gewesen sein, an denen er nicht teilgenommen hat.

Zwischenbemerkung: Eben jenes „Kirchenväterkolloquium“ wird sich im Sommersemester 2013 mit dem spektakulären Fund des Jahres 2012 in der Münchner Staatsbibliothek befassen. Dabei handelt es sich um eine große Zahl von Psalmenauslegungen in der Form von Predigten, die man mittlerweile eindeutig Origenes zuweisen kann.

Damit wären wir bei einem weiteren Interessenschwerpunkt Dihles, der Verbindung zwischen Antike und Christentum, was sich nicht nur im „Reallexikon für Antike und Christentums“ manifestiert, dessen Mitherausgeber er von 1964 bis 2004 war. In diesem Bereich liegt ohne jeden Zweifel einer seiner großen Forschungsschwerpunkte.

Von Dihles Schriften sind heute viele Standardliteratur. Erwähnt seien nur seine „Griechische Literaturgeschichte“ (1967; 21991; 31998) und „Die griechische und lateinische Literatur der Kaiserzeit“ (1989), „Die Vorstellung vom Willen in der Antike“ (1985) und „Die Griechen und die Fremden“ (1994).

Es bleiben noch zu erwähnen die großen Auszeichnungen, die Albrecht Dihle erhalten hat: Die Ehrendoktorwürde der Universitäten Bern und Athen sowie der Macquarie University in Sydney. 1994 wurde Dihle Mitglied des Ordens Pour le mérite für Wissenschaften und Künste. 1997 erhielt er das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst und im gleichen Jahr den Reuchlin-Preis der Stadt Pforzheim. Albrecht Dihle ist ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Von 1980 bis 1982 war er dort Sekretar, von 1990 bis 1994 Präsident. Er ist Mitglied der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, der British Academy, ebenso Mitglied der Academia Europaea. Dazu korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, ehemaliger Leiter der Kommission "Griechische christliche Schriftsteller" der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Ehrenmitglied der Patristischen Kommission der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften.

Die ehemaligen Schüler und Kollegen beglückwünschen Albrecht Dihle, den bedeutenden Erforscher der griechischen und römischen Antike, zu seinem 90. Geburtstag!

(cpk)


 Aus Anlass des 90. Geburtstages von

Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Albrecht Dihle

hat am Freitag, 26. April 2013

ein Festakt in der Alten Aula der Universität Heidelberg stattgefunden.

In der rund drei Stunden dauernden Feier hielt Prof. Dr. Christian Meier die Laudatio,  Prof. Dr. Oliver Primavesi den Festvortrag "Antike Poeten und das Jüngste Gericht. Zu den Fresken Luca Signorellis im Dom von Orvieto".


 

cip-w/IID-Bereichsgruppe Heidelberg 23.02.2013, 12.03.2013, 12.04.2013 und 27.04.2013, Bereichsgruppe Wien 04.04.2013)

Letztes Update: 27.04.2013, 00.44 Uhr.

   
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