Odysseus - der Nachrichtendienst zur Antike

Die Meinung der anwesenden Wissenschaftler war eindeutig: Was da heute (Dienstag, 18. Februar 2014) unter der Leitung von Landesarchäologe Axel von Berg in Mainz der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist einmalig. Die Archäologen der Generaldirektion Kulturelles Erbe präsentierten den Journalisten einen spektakulären Barbarenschatz, der vermutlich aus dem 5. Jahrhundert nach Christus stammt. Altertumswissenschaftler sind gewöhnlich eher zurückhaltend, während der Präsentation war jedoch mehrfach von einem Jahrhundertfund die Rede.

Der Schatz umfasst unter anderem einen Silberteller, eine kostbare, eindeutig aus dem osteuropäischen Raum stammende und deshalb besonders interessante Silberschale, goldene Schmuckstücke, die nach Auffassung der Archäologen ganz offenbar von einem Gewand stammen, das "zeremonieller Natur" gewesen sein muss, kleinere Statuen und die Fragmente eines versilberten und vergoldeten Klappstuhls. Die Wissenschaftler sind sich sehr sicher, dass die Gegenstände, zu denen einiges andere mehr gehört, einem hohen Würdenträger, eventuell einem Fürsten oder hohen Beamten gehört haben müssen. Eventuell handelt es sich um die Beute vagabundierender Germanengruppen.

In diesem Fall war es kein Archäologe, sondern ein polizeibekannter Raubgräber, der den spektakulären Fund bei Rülzheim (Rheinland-Pfalz) gemacht hatte. Die Funde wurden nur nach massivem Druck der Behörden herausgegeben und es sieht so aus, als wären Teile verschwunden. Für die Wissenschaftler katastrophal ist die Tatsache, dass der Fundort komplett zerstört wurde und der Fund somit nicht mehr in seinen historisch-archäologischen Kontext eingeordnet werden kann. Gegen den Raubgräber hat die zuständige Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren eingeleitet, das das für ihn sehr teuer werden könnte.

Die rheinland-pfälzische Kulturministerin Doris Ahnen verurteilte die Raubgräberei auf schärfste, weil gerade im vorliegenden Fall der Wissenschaft und der Allgemeinheit ein immenser Schaden entstanden sei. Sie wies darauf hin, dass einige Stücke des spektakulären Fundes schon bald in Mainz und im Historischen Museum der Pfalz in Speyer der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollen.

Der Schatz stammt aus einer Zeit, in der das Imperium Romanum stetig schwächer wurde und zugleich Germanenvölker eine immer größere Gefahr darstellten. Die Fundumstände ähneln denen des berühmten Silberschatzes von Kaiseraugst (Schweiz). Ähnlich wie in Augusta Raurica wurde auch der Schatz von Rülzheim offenbar von seinem Besitzer in geringer Tiefe vergraben und zwar direkt bei einer alten Römerstraße. Bekannt ist, dass im Jahre 406 nach Christus das römische Militärlager VICUS JULIUS, das nicht weit vom Fundort entfernt liegt, aufgegeben wurde.

(cip-w/IID-Bereichsgruppe Mainz 18.02.2014)

Am 22. August 2013 konnte Michael von Albrecht, einer der bedeutendsten Latinisten des 20. Jahrhunderts, seinen 80. Geburtstag feiern. Dies ist ein bescheidener Versuch, sein Leben und Wirken, das er in den Dienst der antiken und ganz besonders der lateinischen Literatur gestellt hat, zu würdigen.

Geboren als Sohn des Komponisten und Hochschullehrers Georg von Albrecht und der Eurythmielehrerin Elisabeth Kratz absolvierte er in Paris und Tübingen ein Studium der Klassischen Philologie und Indologie. Zuvor hatte er bereits ein Studium an der Musikhochschule Stuttgart mit überragendem Erfolg abgeschlossen. Sehr bald folgte die Promotion in Tübingen über Ovid, der ihn seitdem nicht mehr losgelassen hat. («Die Parenthese in Ovids Metamorphosen und ihre dichterische Funktion», erschienen am 3. Juli 1959 in einer maschinenschriftlichen Ausgabe).

Nicht allzu lange danach schloss sich - ebenfalls in Tübingen - die Habilitation an mit einer Arbeit, die den neugierig machenden Titel «Freiheit und Gebundenheit römischer Epik: Studien zu Silius Italicus» erhielt. Dazu ermutigt wurde er von seinem akademischen Lehrer Ernst Zinn, dem er bis zu dessen Tod im Jahre 1990 eng verbunden blieb. Allerdings scheint ein solches Thema zu jener Zeit nicht ganz ohne Risiko gewesen zu sein. Gerade Silius´ Epos «Punica» war im zu Ende gehenden 19. und dann wieder im 20. Jahrhundert Gegenstand einer erbitterten akademischen Kontroverse, die sich über Jahrzehnte hinzog und zu Zerwürfnissen zwischen den akademischen Schulen führte. Es ist Michael von Albrechts großes Verdienst, mit der ihm eigenen wissenschaftlichen Akribie hier Gräben zugeschüttet zu haben, die andere Gelehrte aufgerissen hatten. In seinen späteren Arbeiten führten er und seine Schüler diese Untersuchungen fort. Von diesen Schülern sei nur Walter Kißel erwähnt, der 1979 mit seiner Heidelberger Dissertation «Das Geschichtsbild des Silius Italicus» nicht unbeachtet blieb. Auch ein weiterer seiner Heidelberger Schüler, Werner Schubert, hat sich in seinem Werk «Jupiter in den Epen der Flavierzeit» mit Silius Italicus intensiv befasst und damit in der akademischen Welt einiges Aufsehen erregt.

Aber bleiben wir bei Michael von Albrecht! Im geschichtlich bedeutsamen Jahr 1964 wurde er Ordinarius an der Universität Heidelberg. Dem Seminar im Marstallhof blieb er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1998 treu. Es kann an dieser Stelle nur noch einmal wiederholt werden, was anlässlich des 90. Geburtstages eines Heidelberger Kollegen Michael von Albrechts in einer Würdigung an gleicher Stelle geschrieben wurde: Es waren goldene Jahre des Heidelberger Seminars für Klassische Philologie! Legendär waren von Albrechts akademische Lehrveranstaltungen, allen voran seine Vorlesungen. Immer hielt er sie dienstags ab und immer begannen sie um 11 Uhr c.t. mit einer schwungvollen lateinischen Einleitung! Nahezu jedesmal war der große Übungsraum überfüllt! Da waren nicht nur seine Studenten, zu denen er stets ein herzliches Verhältnis pflegte, sondern auch regelmäßig Gäste, darunter auffallend oft Ehemalige, die ihren akademischen Lehrer nach dem Examen nicht vergessen hatten.

Michael von Albrecht war und ist ein begnadeter Wissenschaftler. Das hinderte ihn aber nicht daran, sein Dienstzimmer zu verlassen und sich in eine ganz andere, für viele Gelehrte fremde Welt zu begeben - in die Welt der Schule! Oft prägte er - gerade in Nordbaden - mit seinen Vorträgen zur lateinischen Literatur Fortbildungsveranstaltungen für Gymnasiallehrer der Alten Sprachen. Auch war er sich nicht zu schade, an den regelmäßig im Frühjahr stattfindenden Vorbereitungsabenden für Lateinkursschüler der Oberstufe in Heidelberg und Karlsruhe teilzunehmen. Dabei informierte er nicht nur die Schüler in der ihm eigenen Weise über das lateinische Abiturthema, sondern stellte sich anschließend ihren Fragen. Wo findet man heute noch einen solchen Gelehrten?

Nach einer solchen Veranstaltung, an dem der Autor, ein ehemaliger Schüler Michael von Albrechts, mit seinem Lateinkurs 13 teilnahm, äußerte sich eine der anwesenden Schülerinnen zutiefst beeindruckt und meinte, bei einem solchen Professor würde sie auch gerne studieren. Ein schöneres Kompliment dürfte es wohl kaum geben.

Latein in der Schule liegt Michael von Albrecht ohnehin sehr am Herzen. Da wäre die lange und äußerst fruchtbare Zusammenarbeit mit seinen beiden Kollegen Wolfgang Klug († Dezember 2012) und Hans Joachim Glücklich zu erwähnen. Mit beiden Fachdidaktikern arbeitete von Albrecht in herausragender Weise zusammen und dies zum Nutzen unzähliger Lehramtsstudenten. Besonders glücklich konnte sich das Heidelberger Seminar für Klassische Philologie auch deswegen schätzen, weil mit den Herren Klug und Glücklich die Vertreter gleich zweier Bundesländer im Marstallhof tätig waren und für eine befruchtende Vielfalt an Lehrveranstaltungen sorgten. Prof. Klug war lange Jahre Fachabteilungsleiter für Alte Sprachen am renommierten Kurfürst-Friedrich-Gymnasium (KFG) in Heidelberg, Prof. Glücklich Fachleiter für Latein, seit 1980 auch für Griechisch am Studienseminar Mainz. Die von Michael von Albrecht oft scherzhaft an seine Studenten gerichtete Frage "Wollen Sie lieber glücklich oder klug werden?" ist übrigens keine Legende, sondern vielfach glaubhaft überliefert.

Viele der ehemaligen Schülerinnen und Schüler Michael von Albrechts nehmen heute in der lateinischen Fachdidaktik führende Positionen ein. Stellvertretend soll hier jedoch die am Friedrich-Schiller-Gymnasium Marbach tätige Ingvelde Scholz (1) erwähnt werden, die im Herbst 1983 ihr Latein- und Theologiestudium im Heidelberger Marstallhof begann und die man nach der zweifellos subjektiven Meinung des Verfassers als führende Persönlichkeit der aktuellen lateinischen Fachdidaktik bezeichnen muss.

Betrachtet man die Klassische Philologie des 20. Jahrhunderts, so ist festzuhalten, dass sie ohne Michael von Albrecht sehr viel ärmer gewesen wäre. Dessen wissenschaftliche Produktivität ist von überragender Bedeutung und hat die Forschung immer wieder entscheidend vorangebracht. Der Wandel, den man in der Ovidforschung seit den achtziger Jahren beobachten kann, ist ohne jede Frage auf von Albrechts kontinuierliche und seine das Werk des Dichters durchdringenden Arbeiten zurückzuführen. Der Verfasser dieses Beitrags bekam während der Schulzeit von seinem (übrigens hervorragenden!) Latein- und Griechischlehrer zu hören, dass Ovid bei den lateinischen Autoren - vorsichtig ausgedrückt - nicht die erste Wahl sei. Ovid habe erkannt, dass er sich mit dem großen Vergil nicht messen könne und sich deshalb in den Metamorphosen auf Kleinepen beschränken müsse. Er habe viel aus den unterschiedlichsten Quellen zusammengeschrieben (sic!) und ermüde oft durch seinen larmoyanten Ton. Mit letzterem war natürlich vor allem Ovids Exilliteratur gemeint.

Hier hat Michael von Albrecht, der große Ovidkenner, ein Umdenken bewirkt. Durch seine Forschungen hat er nachgewiesen, dass beispielsweise die Metamorphosen nicht ek­lek­tisch zusammengestückelt wurden, sondern eine Symbiose ganz spezieller Art miteinander eingehen und ganz eindeutig zur Weltliteratur gehören. Dass die Metamorphosen in den nächsten Jahren in verschiedenen Bundesländern (darunter in Baden-Württemberg) zum Lateinabitur gehören, ist zweifellos auch ein Verdienst der Untersuchungen des großen Heidelberger Gelehrten. Ganz gewiss darf man Michael von Albrecht als «Ovidianissimus» bezeichnen - wie es Hermann Wiegand in der Festschrift (2) tut, die er zusammen mit Reinhard Düchting zu Ehren des Octogenarius herausgegeben hat. Was wäre die Ovidforschung ohne Michael von Albrecht! 

Michael von Albrechts begeisternder Umgang mit der lateinischen Literatur steckte an. Viele seiner Schüler waren bzw. sind heute selbst an herausragender Stelle in den Altertumswissenschaften tätig. Hier muss man ganz besonders die im Dezember 2009 viel zu früh verstorbene Sabine Grebe (3) erwähnen, aber auch die bereits erwähnten Werner Schubert und Walter Kißel.

Sabine Grebe führte im kanadischen Guelph bis zu ihrem Tod vor allem die Erforschung der ovidischen Exilliteratur fort, so in ihrem 2010 postum erschienenen Artikel «Why did Ovid associate his exile with a living death?» (4)

Von Albrechts eigene Werke nehmen heute in Bibliotheken ganze Regalwände ein. Hiervon kann man sich in Universitäts- und Seminarbibliotheken, aber auch in nicht wenigen regionalen Büchereien überzeugen. Sein Buch über «Meister römischer Prosa: von Cato bis Apuleius» ist Legende und gilt als Standardliteratur, die erstens jeder Lateinstudent und zweitens jeder Lateinlehrer in seinem Bücherregal haben sollte. 2012 ist es in vierter (durchgesehener und bibliographisch korrigierter) Auflage erschienen. Sein Werk über die «Römische Poesie», zuerst 1971 bei Lothar Stiehm erschienen, ist nicht weniger bedeutend.

Die 1992 in erster Auflage erschienene und mittlerweile in mehrere Sprachen übersetzte «Geschichte der römischen Literatur» gehört zweifellos zur Spitze der wissenschaftlichen Weltliteratur. Es sei erlaubt, abschließend Hans-Albrecht Koch (5) mit seiner Rezension auszugsweise zu zitieren:

(Anfang des Zitats:)

"Es geht also doch noch: daß ein einzelner Gelehrter ein großes Werk zu einem großen Gegenstand hervorbringt, das sich von der universitätsüblichen Produktion der Sammelbände so unterscheidet wie ein Industriemöbel vom Schrank aus der Hand des Kunstschreiners. Freilich: es bedarf der langen Konzentration auf die "Hauptsache", eines immensen Fleißes und vor allem wohl auch eines ganz unzeitgemäßen Ethos, daß nämlich der Gelehrte in reiferen Jahren seinem Fach den großen Wurf schulde, statt nach der Karrierearbeit einer oft überzogen üppigen Habilitationsschrift die schöpferischen Kräfte allmählich in der Betreuung von Sammelbänden versiegen zu lassen."
(...)
"Nicht zuletzt der - gleichsam mit römischer perseverantia - durchgehaltenen Systematik ist es zu danken, daß die gewaltigen Stoffmassen so vor dem Leser ausgebreitet werden, daß er nirgendwo die Orientierung verliert. Schließlich noch dies: von der ersten bis zur letzten Seite ist das Buch in einer schönen, sich den Gegenständen fast musikalisch anschmiegenden Sprache geschrieben. Wer es nicht weiß, kann am Stil des Buches merken, welch ein begnadeter Musiker der Autor ist."
(...)
"Von Albrecht hat ein wahrhaft europäisches Buch geschrieben, das man sich auch in den Händen vieler Neuphilologen wünscht, denen es die römischen Wurzeln ihrer Gegenstände vermittelt."
(...)
"Für die Klassische Philologie liegt mit dieser Literaturgeschichte ein Hand- und Lehrbuch vor, dem Generationen von Studenten und Forschern für das Studium der römischen Literatur so verpflichtet sein werden, wie sie es für die Gräzistik der großen Geschichte der griechischen Literatur von Albin Lesky (...) seit langem sind." (Ende des Zitats.)

(Quelle: http://www.bsz-bw.de/depot/media/3400000/3421000/3421308/95_0091.html)

Diesen Worten ist nichts hinzuzufügen.

Möge der Jubilar noch viele Jahre im Kreise seiner Familie, seiner Freunde und Kollegen schöpferisch tätig sein!

(cip-w/IID-Bereichsgruppen Heidelberg und Tübingen 25.08.2013


Ergänzung: Nach einer solchen Würdigung erreichen die Redaktion immer wieder zahlreiche Nachfragen. Weitergehende Informationen zu den im Artikel angesprochenen Personen und Themen sind u.a. aus folgenden Quellen verfügbar:

1 Ingvelde Scholz, ehemalige Schülerin Michael von Albrechts, heute Studiendirektorin, Fachberaterin, Fachleiterin für Latein am Stuttgarter Seminar, Spezialistin für Hochbegabung und Autorin zahlreicher Veröffentlichungen

2 Aridus frugifer. Michael von Albrecht zum achtzigsten Geburtstag. Herausgegeben von Hermann Wiegand und Reinhard Düchting. Heidelberg 2013 (mit Beiträgen von Anna Elissa Radke, Hermann Wiegand, R. Joy Littlewood, Rüdiger Niehl, Heinz Scheible, Martin Korenjak, Reinhard Düchting und Hans-Joachim Zimmermann. (ISBN 978-3-86809-079-6, Mattes Verlag Heidelberg))

3 Nachruf auf Sabine Grebe († 13. Dezember 2009)

4 Class World 2010 Summer; 103(4):491-509

5 Vollständige Rezension der Geschichte der römischen Literatur.

Als vor etwa 12 Monaten verantwortliche Herren der Arbeitsgemeinschaft Altertumswissenschaften die Bitte an den Autor dieses Beitrages herantrugen, eine Würdigung für Albrecht Dihle anlässlich seines 90. Geburtstages zu verfassen, so bedeutete dies eine große Ehre. Mit der Zeit wuchsen jedoch die Zweifel, ob es überhaupt möglich sei, einen der angesehensten europäischen Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts in einem solchen Beitrag angemessen zu ehren.

Gleich drei akademische Lehrer des Verfassers, ein Gräzist, ein Latinist und ein Historiker – alle drei nicht ganz unbekannt in der deutschen Wissenschaft – ermutigten den Verfasser dann jedoch dazu, seine Arbeit zu vollenden. Der Autor des Beitrags dankt den erwähnten Herren für ihre Ermutigung und hofft sehr, dass diese Würdigung ein wenig dazu beitragen möge, Albrecht Dihle anlässlich seines 90. Geburtstages zu ehren und einen Blick auf sein Leben zu werfen.

Als der Verfasser dieser Würdigung vor mehr als drei Dezennien zum ersten Mal mit dem hier zu Ehrenden zusammentraf, so erlebte er gleich eine Überraschung. Es war in einer großen deutschen Universitätsstadt. Albrecht Dihle sollte an der dortigen Universität einen Vortrag über ein gräzistisches Thema halten. Nun sind solche Vorträge – von spektakulären Ausnahmen abgesehen – nicht gerade Publikumsrenner. Üblicherweise kommen einige Studenten und Kollegen, manchmal vielleicht auch noch wenige Interessierte von außerhalb. Eine Viertelstunde vor Beginn des Vortrages anwesend zu sein, sollte ausreichen.

Da einige Dinge zuvor rascher als erhofft erledigt waren, gelang es, bereits 45 Minuten vor Beginn in einem der größten Hörsäle der Universität anwesend zu sein. Die Überraschung folgte prompt: Der Saal war voll besetzt und es kamen immer mehr Zuhörer, die sich schließlich auf Treppenstufen und Fensterbänken niederließen. Hier wurde offensichtlich einer der ganz Großen seines Faches erwartet und tatsächlich schienen die Zuhörer voll gespannter Erwartung zu sein.

Es sei eingestanden – Albrecht Dihles Kollegen mögen es mir nachsehen – dass der Autor selten einen derartig dichten und gleichzeitig wohlstrukturierten wissenschaftlichen Vortrag gehört hat, der ihn faszinierte und gleichzeitig zu produktiver wissenschaftlicher Arbeit anregte. Die Veranstaltung dauerte eineinhalb Stunden und es dürfte seinerzeit wohl keiner der Anwesenden enttäuscht gegangen sein.

Dihle gehört zu einer die Wissenschaft prägenden Gruppe von Altphilologen des 20. Jahrhunderts, die man heute schmerzlich vermisst. Eine solche Persönlichkeit ist zweifelsohne nicht denkbar ohne eine Entwicklung, die bereits a prima pueritia ihren Anfang genommen hat.

Er legte seine Abiturprüfung am Max-Planck-Gymnasium zu Göttingen ab, einer wahrhaft renommierten Schule, die erst vor wenigen Jahren durch ein Projekt aus dem Bereich der Astronomie für internationale Schlagzeilen sorgte. Von 1940 bis 1942 musste er, wie viele andere, in einen unseligen und menschenverachtenden Krieg ziehen. Hier erlitt er eine schwere Verwundung, die ihn prägte.

Ab 1942 studierte er an der Universität Göttingen, wo er, wie er später seinen Studenten berichtete, sich besonders dem im dritten Reich verfolgten und von Konrat Ziegler versteckten Kurt Latte verbunden fühlte. Ein weiterer seiner Lehrer war Alfons Maria Schneider, ein Christlicher Archäologe und Byzantinist. Dihle würdigt ihn in der „Neuen Deutschen Biographie“ wie folgt: „Umfassende Gelehrsamkeit und ausgedehnte Sprachkenntnisse, einzigartige Vertrautheit mit den Monumenten und Territorien des Oriens Christianus sowie Scharfsinn, Ideenreichtum und eine enorme Arbeitsenergie befähigten Schneider zu herausragenden Leistungen als Archäologe und Byzantinist.“

Man könnte meinen, Dihle spräche von sich selbst. Genau diese Eigenschaften waren es, die seine Schüler und Kollegen an ihm bewunderten und immer noch bewundern. Stupendes Wissen, verbunden mit einer virtuosen Gelehrsamkeit, die aufhorchen ließ. Wohl nicht ohne Grund bezeichnen nicht wenige seiner Schüler Dihle als einen der letzten Universalgelehrten unserer Zeit.

Nie hielt er sich ausschließlich auf seinem Gebiet, der Philologie, auf. Immer wieder befasste sich Dihle mit der Kulturgeschichte der antiken Welt und den Beziehungen zwischen Antike und Orient. Aber auch antike Rhetorik und Philosophie, das griechische Drama und immer wieder Homer waren seine Forschungsschwerpunkte. Dass er hier eine eigene Meinung hatte und diese auch dezidiert gegenüber Kollegen, Schülern, Doktoranden und Habilitanden vertrat, ist bekannt. Seine 1970 erschienene Veröffentlichung über „Homer-Probleme“ ist nicht ohne Grund zum Standardwerk geworden und wird noch heute in vielen gräzistischen Seminaren den Teilnehmern als grundlegende Lektüre empfohlen.

Dihle sprach von seinen akademischen Lehrern immer wieder mit großer Wärme. Diese dürften sehr schnell seine Fähigkeiten erkannt haben. Bereits 1946 wurde er in Göttingen – mit gerade einmal 23 Jahren – promoviert. Thema seiner Dissertation war "λαός, ἔθνος, δῆμος. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Volksbegriffs im frühgriechischen Denken". Die Habilitation folgte vier Jahre später.

Bereits 1956 außerplanmäßiger Professor geworden, erhielt er 1958 eine Gräzistikprofessur in Köln. 1974 wurde er zum Ordinarius an der Universität Heidelberg ernannt, der er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1989 treu blieb – trotz der Versuche anderer Universitäten, ihn mit ehrenvollen Rufen an sich zu binden.

Dihles Heidelberger Zeit war eine Glanzzeit des Seminars für Klassische Philologie im Marstallhof. Zusammen mit seinen Kollegen gelang es ihm, den Ruf des Seminars zu mehren und es zu einer in Europa führenden Forschungs- und Lehrstätte für Klassische Philologie zu machen. Nicht ohne Grund kamen Gelehrte aus aller Welt in die Kurpfalz, dazu viele Studenten, die die Welt der antiken Literatur und Kultur kennenlernen wollten. Dihles nicht weniger bekannter Heidelberger Kollege Hans Armin Gärtner hat das Seminar im Marstallhof - die Bedeutung des lateinischen Wortes seminarium hervorhebend - einmal als „Pflanzschule des Nachwuchses“ bezeichnet. Die Ausbildung der Studierenden (auch der Lehramtsstudierenden!) war Dihle ein großes Anliegen – es scheint, ganz im Gegensatz zu heutigen Vertretern der Klassischen Philologie. Zusammen mit seinen Heidelberger Kollegen (namentlich der bereits erwähnte Hans Armin Gärtner, Herwig Görgemanns, Michael von Albrecht und Hubert Petersmann) arbeitete Albrecht Dihle an der Heranbildung des Nachwuchses, mit der Folge, dass das Heidelberger Seminar für Klassische Philologie den Ruf als eines der besten Universitätsinstitute für Klassische Philologie in Deutschland genoss. Aber auch viele nationale und internationale Wissenschaftler fühlten sich im Heidelberger Seminar wohl. Dies geschah zu einer Zeit, die ich hier – ganz nach Ovid – als „aurea aetas“ der Heidelberger Klassischen Philologie bezeichnen möchte.

Wenn man sich mit Albrecht Dihles Heidelberger Zeit befasst, so kommt man nicht umhin, das „Kirchenväterkolloquium“ zu erwähnen, oder, wie es eigentlich korrekt heißt, das „Kolloquium zu christlichen Texten der Antike“. Dieses Kolloquium lag Dihle besonders am Herzen und es dürften nur wenige Sitzungen während seiner Heidelberger Zeit gewesen sein, an denen er nicht teilgenommen hat.

Zwischenbemerkung: Eben jenes „Kirchenväterkolloquium“ wird sich im Sommersemester 2013 mit dem spektakulären Fund des Jahres 2012 in der Münchner Staatsbibliothek befassen. Dabei handelt es sich um eine große Zahl von Psalmenauslegungen in der Form von Predigten, die man mittlerweile eindeutig Origenes zuweisen kann.

Damit wären wir bei einem weiteren Interessenschwerpunkt Dihles, der Verbindung zwischen Antike und Christentum, was sich nicht nur im „Reallexikon für Antike und Christentums“ manifestiert, dessen Mitherausgeber er von 1964 bis 2004 war. In diesem Bereich liegt ohne jeden Zweifel einer seiner großen Forschungsschwerpunkte.

Von Dihles Schriften sind heute viele Standardliteratur. Erwähnt seien nur seine „Griechische Literaturgeschichte“ (1967; 21991; 31998) und „Die griechische und lateinische Literatur der Kaiserzeit“ (1989), „Die Vorstellung vom Willen in der Antike“ (1985) und „Die Griechen und die Fremden“ (1994).

Es bleiben noch zu erwähnen die großen Auszeichnungen, die Albrecht Dihle erhalten hat: Die Ehrendoktorwürde der Universitäten Bern und Athen sowie der Macquarie University in Sydney. 1994 wurde Dihle Mitglied des Ordens Pour le mérite für Wissenschaften und Künste. 1997 erhielt er das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst und im gleichen Jahr den Reuchlin-Preis der Stadt Pforzheim. Albrecht Dihle ist ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Von 1980 bis 1982 war er dort Sekretar, von 1990 bis 1994 Präsident. Er ist Mitglied der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, der British Academy, ebenso Mitglied der Academia Europaea. Dazu korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, ehemaliger Leiter der Kommission "Griechische christliche Schriftsteller" der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Ehrenmitglied der Patristischen Kommission der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften.

Die ehemaligen Schüler und Kollegen beglückwünschen Albrecht Dihle, den bedeutenden Erforscher der griechischen und römischen Antike, zu seinem 90. Geburtstag!

(cpk)


 Aus Anlass des 90. Geburtstages von

Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Albrecht Dihle

hat am Freitag, 26. April 2013

ein Festakt in der Alten Aula der Universität Heidelberg stattgefunden.

In der rund drei Stunden dauernden Feier hielt Prof. Dr. Christian Meier die Laudatio,  Prof. Dr. Oliver Primavesi den Festvortrag "Antike Poeten und das Jüngste Gericht. Zu den Fresken Luca Signorellis im Dom von Orvieto".


 

cip-w/IID-Bereichsgruppe Heidelberg 23.02.2013, 12.03.2013, 12.04.2013 und 27.04.2013, Bereichsgruppe Wien 04.04.2013)

Letztes Update: 27.04.2013, 00.44 Uhr.

Zum nunmehr 18. Mal wird am 24. und 25. August 2013 im schweizerischen Kaiseraugst (in der Nähe von Basel) das große Römerfest stattfinden.


Zitat von der Internetseite des Römerfests:

"Wiederum werden Gladiatoren, Musikerinnen, Tänzer und Handwerkerinnen die alten Monumente beleben. Freuen Sie sich schon jetzt auf einen authentischen Ausflug in die Vergangenheit."

"Selber
auf einem Streitwagen mitfahren
ein Mosaik legen
eine Fibel schmieden
einen Korb flechten
Schwerter und Schilde bemalen

und dazwischen

die Gladiatoren beim Kämpfen anfeuern
in der Legionärsschule Unterricht nehmen
den Reitern beim Kampftraining zuschauen
der römischen Musik lauschen
am Mühlespielturnier gewinnen
und zur Erholung

in einem der vielen römischen Restaurants
Platz nehmen!" (Zitat Ende)

Das Festprogramm ist mittlerweile so umfangreich, dass wir es nicht mehr hier wiedergeben können. Update vom 19.08.2013: Das gesamte Programm gibt es an dieser Stelle. Die eigentliche Seite des Römerfests finden Sie hier.

Die Medicamina-Redaktion empfiehlt aus eigener Erfahrung dringend die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Knotenpunkt ist hierbei Basel SBB, wo beispielsweise die ICE-Züge aus Richtung Berlin / Frankfurt / Mannheim / Karlsruhe ankommen. Von hier aus geht es ganztägig im 30-Minuten-Takt mit der S-Bahn Linie S1 nach Kaiseraugst. Die Fahrtzeit beträgt von Basel aus nur 11 Minuten. Weitere Informationen zum Fahrplan bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB).

Eindrücke vom Römerfest 2012:↓ (Einbindung aus Youtube; zum Starten der Videos darauf klicken!

 

↓2012: Ars Dimicandi / Thraex vs. Murmillo

 

2012: Ars Dimicandi / Retiarius vs. Secutor:

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(cip-w/IID-Bereichsgruppen Basel und Freiburg 02.08.2013)

Archäologen des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg haben umweit der geplanten ICE-Neubaustrecke Wendlingen-Ulm im Bereich Aichelberg eine große römische Ziegelbrennerei aus der Zeit zwischen 220 und 250 nach Christus entdeckt. Der unerwartete Fund wird derzeit in einer Art Notgrabung untersucht, da bereits Anfang Dezember die Fundstelle mit Kies zugeschüttet wieder an die Deutsche Bahn übergeben werden muss. Die Ziegelei lässt sich anhand von Keramik- und Glasfunden recht genau auf den genannten Zeitraum datieren. Möglicherweise steht die Entdeckung in Zusammenhang mit dem Fund römischer Tonscherben im Bereich der Landstraße nach Weilheim im Mai 2012. Dieser Fund war bislang unerklärlich.

Ungewöhnlich sind die Brennöfen (drei wurden bisher gefunden), weil diese nach archäologischer Fachmeinung im dritten nachchristlichen Jahrhundert überwiegend in römischen Militärlagern und größeren Siedlungen zu finden sind. Kleinere Privatziegeleien aus römischer Zeit sind zu diesem Zeitpunkt recht selten.

Einer der drei Brennöfen befindet sich in einem hervorragenden Zustand. Dies ist auch deshalb überraschend, weil die Öfen recht einfach gebaut sind. Nach bisherigen Erkenntnissen scheint der Betreiber der Ziegelbrennerei nicht an Ort und Stelle gelebt zu haben. Vermutet wird, dass er in einer bislang nicht entdeckten villa rustica in der Nähe von Aichelberg gewohnt hat.

Der Betreiber hatte für seinen Betrieb optimale Bedingungen. Die Gegend ist bekannt für ihre hochwertigen Tonlagerstätten. In unmittelbarer Nähe fließt ein kleiner Bach, der bezeichnenderweise den Namen "Ziegelbach" trägt. Außerdem gab es, wie die Archäologen vermuten, Holz in Hülle und Fülle, das zum Beheizen der Brennöfen benötigt wurde. Die Ausgräber halten es für nicht ausgeschlossen, dass weitere Brennöfen im Boden verborgen sind.

(ip-w/IID-Bereichsgruppe Heidelberg 20.11.2012)

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